Wir legen Wert darauf, dass sich alle Interessierten ein möglichst klares Bild machen können, welche Ideen die Projektbeteiligten verfolgen und wie wir als NABU Gruppe uns dazu äußern. Neben unserer Einschätzung verweisen wir daher auch auf die Unterlagen der Stadt, die öffentlich einzusehen sind.
Zum Download der Projektunterlagen auf der Internetseite der Stadt Darmstadt.
November / Dezember 2021
Die nachfolgende Rückmeldung bezieht sich auf die folgenden Dokumente, welche den Teilnehmenden am Begleitforum zur Verfügung gestellt wurden:
Beide Dokumente sind auf der zentralen Internetseite zum Projekt aufgeführt und verlinkt (siehe oben!).
Das erlebte Format war für einen Austausch nicht wirklich geeignet. Die Beiträge der Projektbegleitung als auch von CIMA, die beide bereits schriftlich vorlagen, nahmen den größten Teil der Sitzung ein. Für alle, die sich verantwortungsvoll auf die Sitzung vorbereitet hatten, war dies weitgehend Zeitverschwendung und so wurde der Diskussion ausreichend Zeit vorenthalten.
Das Vorgehen bei der Sitzung war vorab unklar. Es wurde nicht angekündigt, dass die Chat-Inhalte im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und mehr oder weniger die Themen und deren Reihenfolge bestimmen sollten. Wer den Chat in Erwartung eigener mündlicher Beiträge nicht rechtzeitig nutzte, hatte das Nachsehen. Die Abarbeitung der Kommentare im Chat sah keine weitere Kommentierung durch die Schreibenden vor, so dass die ausführliche Beantwortung seitens der Projektbeteiligten als Statements im Raum stehen blieben. So war es auch nicht möglich, Missverständnisse wie beim Thema Erwerbstätigenprognose anzusprechen. Erst zum Ende hin wurden einzelne Dialoge ermöglicht, aber auch nur für kurze Zeit, bei denen nicht alle Interessierten zu Wort kommen konnten.
Die Abfassung der Sitzungsdokumentation im Frage-Antwort-Stil erweckt den Eindruck, als hätten die Beteiligten am Forum vorrangig Informationen einholen wollen. Dabei wurden von Teilnehmenden durchaus kritische Einwände mit Begründungen vorgebracht, die in der Dokumentation als solche nicht zu erkennen sind. Ein deutliches Beispiel dafür ist der Umgang mit den Einwänden zu Gewerbeflächenangeboten in Darmstadt. Ohne Überprüfung wird unterstellt, dass es sich hauptsächlich um Scheinangebote handeln würde. Das Thema der unseriösen Erwerbstätigenprognose wird einfach unterschlagen, obwohl es das Gutachten sehr stark prägt.
In keinem Beitrag seitens der Projektbeteiligten war eine kritische Distanz zu dem von CIMA vorgelegten Gutachten zu erkennen. Weder zu der willkürlichen Erwerbstätigenprognose noch zu den Flächenverkaufszahlen wurden substantielle Aussagen gemacht (vgl. Anlage mit der Stellungnahme des NABU zum Gutachten!). Der Vortrag von CIMA bestätigte den im Gutachten abzulesenden Trend, möglichst optimistische Bedarfe bei den Prognosen hervorzuheben. Konkrete Bedarfe, wie etwa für ein neues Straßenbahn-Depot, spielten dabei gar keine entscheidende Rolle. Für die Berechnung eines Bedarfs von 110 bis 150 ha Gewerbefläche bis zum Jahr 2040 gibt es daher keine nachvollziehbare Begründung.
Leider stellt die Stadt Darmstadt nicht alle Daten bereit, um sich ein Bild von den bisherigen Zahlen der Erwerbstätigen zu machen. Was man aus offiziellen Statistiken ersehen kann:
· Die Bevölkerungsentwicklung in Darmstadt stagniert bereits. Eine gesicherte Zunahme gibt es nur bei den Älteren über 65 Jahren.
· Geburtenstarke Jahrgänge überschreiten in Darmstadt demnächst das Erwerbsalter. Schwächere Jahrgänge rücken nach. Daraus lässt sich seriös keine Zunahme der Erwerbstätigen für die Zukunft ableiten.
· Bevölkerungsprognosen gehen von einem Rückgang der 20- bis 66-Jährigen von etwa 12% bis 2040 gegenüber 2020 aus. Dem steht eine Zunahme der Älteren ab 67 Jahren von etwa 32 % gegenüber.
· Auf dieser Basis wird ein starker Rückgang der Erwerbstätigen prognostiziert. Für Ballungszentren wird erwartet, dass die Zahlen der Erwerbstätigen bestenfalls gehalten werden kann.
Diese Angaben sind Statistiken zu entnehmen, die von der Stadt und vom Statistischen Bundesamt öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Für die simple Hochrechnung der Zahlen aus der Vergangenheit gibt es keinen vernünftigen Grund. Damit sind die Berechnungen von CIMA als willkürlich einzustufen.
Ganz unabhängig von allen Abwägungen zu Umwelt- und Naturschäden gibt es keine sachliche Basis, welche den Bedarf an Gewerbeflächen in der vorgeschlagenen Weise und Größenordnung begründen könnte. Vom Magistrat wurde darauf hingewiesen, dass es eine weitere aktualisierte Berechnung des Bedarfs geben soll. Sollten die bisherigen Methoden erneut angewandt werden, ist in der Konsequenz ein ebenfalls geschöntes, aber kein vertrauenswürdiges Ergebnis zu erwarten.
Hinzu kommt der Zweifel, dass eventuell vorhandener Bedarf im Gebiet von Wixhausen und Arheilgen befriedigt werden müsste.
Leider gibt es auch nach der Sitzung des Begleitforums daher keinen Anlass, seitens des NABU Darmstadt von der Kritik an der Gewerbeflächenanalyse und deren Zielsetzung abzurücken.
Nachfolgend die Antwort zu der NABU-Stellungnahme, welche das Gutachten für akzeptabel erklärt. Diese hat uns in keiner Weise überzeugt.
Oktober 2021
Auch der NABU wird als Naturschutzorganisation an den Sitzungen des Planungsbegleitgremiums für die Gewerbeentwicklung im Darmstädter Norden beteiligt. In der zweiten Online-Sitzung stand das Gutachten zum Flächenbedarf auf der Tagesordnung. Die Stadtverordneten hatten das Gutachten bereits am 30.09.2021 zur Kenntnis genommen, ob mit Kritik, das lässt die städtische Dokumentation nicht erkennen. Den Sinn der nachträglichen Erörterung im Begleitgremium konnte man daher bereits in Frage stellen. Die Art der Durchführung ließ nur eine sehr begrenzte Diskussion zu. Die Beantwortung von Chats erlaubte keinen Dialog, sondern erfolgte im Monolog. Wir suchen daher die Öffentlichkeit, um unsere Einschätzung bekanntzumachen.
Einschätzung der Gewerbeflächenbedarfsanalyse
Perspektive und Umsetzungsszenario 2040
Braucht Darmstadt wirklich eine große neue Fläche für Gewerbe? Oder streben Stadtpolitiker nur nach weiteren Einnahmequellen im Wettbewerb mit anderen Kommunen? Die von „CIMA Beratung + Management“ vorgelegte „Bedarfsanalyse für Darmstädter Gewerbeflächen“ wurde von einer internen Arbeitsgruppe des NABU detailliert auf ihren Sachgehalt untersucht und mit anderen nachvollziehbaren Informationen abgeglichen, soweit diese uns zur Verfügung standen.
Die sogenannte Bedarfsanalyse beruft sich hauptsächlich auf Schätzungen der Erwerbstätigenentwicklung in der Zukunft, zum anderen auf nicht näher erläuterten Aussagen, dass Bedarf bekannt sei. Die Bedarfsberechnung schreibt die Zunahme der Erwerbstätigen aus vorangegangenen Zeiträumen einfach fort. Dass sich Trends ändern können, wird nicht berücksichtigt. Dabei ist es schon methodisch fragwürdig, wenn der zukünftige Zeitraum der Prognose länger ist als der ausgewertete Zeitraum in der Vergangenheit. Besonders die unbegründete Annahme, dass die Erwerbsbevölkerung in Darmstadt weiter linear ansteigen wird, sticht hervor. Veröffentlichte Daten des Statistischen Bundesamts weisen eindeutig darauf hin, dass die Erwerbsbevölkerung insgesamt zukünftig deutlich schrumpfen wird (www.destatis.de). Auf dem Land ist mit einem stärkeren Rückgang zu rechnen, in städtischen Großräumen mit keinem weiterem Zuwachs. Dazu sagt das vorgelegte Gutachten nichts, sondern baut auf das Wunschdenken der Stadtpolitik, wie seitens CIMA betont wurde. Ein mögliches Nullwachstum wird überhaupt nicht erwogen. Was ein Hemmnis für wirtschaftliches Wachstum darstellen könnte, Fachkräftemangel, Ressourcenknappheit, Auswirkungen des Home Office oder kommunale Konkurrenz um Gewerbebetriebe, wird ausgeblendet. So hat die ganze Erwerbstätigenprognose nur einen pseudowissenschaftlichen Anstrich, ist Wunschdenken ohne realen Hintergrund.
Eine zweite Bedarfsrechnung bezieht sich auf den Flächenumsatz, die verkauften Gewerbeflächen in der Vergangenheit. Dafür wird ein Zeitraum gewählt, in dem Darmstadt über besondere Flächen verfügte. Nach der Auflösung der Militärstandorte konnten neue Flächen verkauft werden. Außerdem fand eine größere Fläche auf der Knell Käufer. Wir gehen deshalb davon aus, dass die verkauften Flächen in den berücksichtigten Jahren nicht dem Durchschnitt entsprachen, sondern größer waren. Auch dieser Flächenverkauf wird im Gutachten als Bedarf in die Zukunft fortgeschrieben. Weil sich daraus aber ein geringerer Bedarf ergibt als aus dem angeblichen Erwerbstätigenwachstum, wird dieses niedrigere Rechenergebnis am Ende verworfen.
Jeder Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung liegen Annahmen zugrunde, doch hier sind sie willkürlich so gewählt, dass nur ein vorher gewolltes Ergebnis herauskommen kann: Es soll einen hohen Flächenbedarf geben. Die Mehrheit in der Stadtpolitik spricht wie der Oberbürgermeister persönlich gerne davon, dass es kein aktives Wachstumsbestreben gäbe, sondern nur eine Regulierung des unvermeidbaren Wachstums erfolgen solle. Doch die Bedarfsanalyse spricht für das genaue Gegenteil. Aktuelle Hinweise auf rückläufigen Bedarf an Gewerbeimmobilien sind im Gutachten auch nicht als ein Szenario aufgegriffen. Lieber wird einer großzügigen Versiegelung sozusagen auf Vorrat das Wort geredet. Aus dem gesamten Gutachten lässt sich herauslesen, dass ein deutliches Wachstum bei den Gewerbeflächen angestrebt werden soll. Besonders aufschlussreich ist hierbei die Aussage, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt. Wer also viel anbietet, kann auch viel verkaufen, so die Logik. Gewerbeimmobilien werden auf diese Weise leicht zu Spekulationsobjekten, auch wenn sie nicht wirklich gebraucht werden. Die Flächen sind damit auch der Natur entzogen.
Wer etwas weiterdenkt, wird rasch zu der Frage kommen, ob die angeblich so gute Verkehrsanbindung von Gewerbestandorten im Norden nicht noch weitere „Bedarfe“ schafft, die zusätzliche Flächen verschlingen würden. So könnte zunehmender PKW und LKW-Verkehr die Verbreiterung der B3 oder die Verlängerung der A661 bis Darmstadt als Thema aufwerfen. Wie dieser Flächenverbrauch in Zeiten der klimatischen Veränderungen zu rechtfertigen ist, bleibt ein Rätsel.
Erhärtet wird der Eindruck, dass nur ein Gewerbewachstum in Frage kommen kann, durch die Sprache der Verfasser, wenn sie über die Potenzialflächen schreiben. Die „Aktivierung von Flächen“ erweckt den Eindruck, als wären diese Flächen bisher nutzlos. Das „Gewerbe“ wird so über die Landwirtschaft erhoben, die doch unsere Lebensgrundlagen mit schafft. Die Bedeutung von Naherholung, Lebensräumen für Wildtiere (siehe Fotos aus dem Gebiet), Blühstreifen für Insekten oder immer bedeutsamere Versickerungsflächen für Regenwasser im Klimawandel zählen offenbar überhaupt nicht.
Fasst man alle diese Aspekte zusammen, so gibt es nur ein Urteil zu der Analyse von CIMA:
Das Gutachten ist voreingenommen und in seiner Ausführung unseriös. Die NABU Gruppe wird es als Grundlage für eine weitere Erörterung deshalb nicht akzeptieren. Überhaupt macht der gesamte Ansatz des Gutachtens deutlich, dass der lokale Ansatz der Wirtschaftsförderung vorrangig auf die Steigerung von Gewerbesteuereinnahmen und Beiträge für Wirtschaftsorganisationen zielt. Während in Deutschland versiegelte Industriegebiete verwaisen und zu Schrotthalden verkommen, sollen in Darmstadt weitere wertvolle Flächen versiegelt und der Natur entzogen werden. Wenn die Klimakrise nicht dazu führt, dass von höherer Ebene hier neue, überregionale Planungsansätze verfolgt werden, bleiben alle Beschlüsse von Klimakonferenzen nur Makulatur. Das Artensterben wird auch in Deutschland weitergehen.